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Dienstag, 04. März 2003  

Der Spuk, der blieb

Ein Relikt des linken Widerstands: Das Thomas-Weissbecker-Haus in Kreuzberg wird 30 Jahre alt

Brenda Strohmaier

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Kreuzberg gilt wieder als angesagt. Selbst aus den Ost-Szene-Bezirken pilgern junge Menschen dorthin, um zu feiern. Ein paar bunte Häuser erinnern noch daran, dass die Jugend einst aus anderen Beweggründen nach Kreuzberg kam: Hier gab es etliche leer stehende Gebäude, in denen sich Träume verwirklichen ließen.

Eines dieser wild bemalten Häuser feiert diese Woche seinen 30. Geburtstag: das Thomas-Weissbecker-Haus. Viele kennen das Gebäude in der Wilhelmstraße 9 wahrscheinlich vom Sehen, wohl auch die Mitarbeiter der neuen SPD-Parteizentrale, die nur ein paar Häuser weiter residieren. Die wenigsten dürften jedoch wissen, dass sich hinter der bunten Fassade eines der ersten alternativen Jugendwohnprojekte Berlins befindet.

Ein Haus für Treber

Selbst die inzwischen grauhaarigen Gründer halten es für ein kleines Wunder, dass das Haus noch existiert. "Die Senatsverwaltung hat damals gedacht, der Spuk sei in drei Wochen vorbei", erzählt Hans-Dieter Will. Heute ist er Professor in Erfurt, vor 30 Jahren war er Vorstand des Vereins für Sozialpädagogische Sondermaßnahmen (SSB). Der SSB hatte bereits das Jugendzentrum Drugstore in der Potsdamer Straße gegründet und war nun auf der Suche nach einem Haus, in das junge Treber einziehen konnten. "Damals waren die meisten Berliner Heime geschlossene Häuser, aus denen massenweise Kinder wegliefen", sagt Will. Nach Schätzungen des Vereins lebten Anfang der 70er-Jahre in Berlin 1 000 bis 1 500 Jugendliche auf der Straße. Einige von ihnen kamen im Rauch-Haus am Mariannenplatz unter, das 1971 besetzt worden war.

Der SSB entdeckte schließlich das Haus in der Wilhelmstraße 9. Es gehörte dem Senat, war mit Küche und Bädern ausgestattet und stand schon seit einigen Jahren leer. Besetzt hat es der Verein jedoch nicht. "Das wäre politisch nicht durchgegangen", sagt Will. Stattdessen lud der Verein die Treber ein, in den Drugstore zu ziehen. Mehr als hundert folgten der Einladung. Dies kam einer Besetzung des Jugendzentrums gleich.

Geschickt konnte der SSB dann die Bevölkerung für die Nöte der Jugendlichen sensibilisieren. "Einmal sind wir im Gänsemarsch mit 80 Jugendlichen von der Potsdamer zur Wilhelmstraße marschiert, um dort duschen zu gehen." So sauberen Menschen musste der Senat dann schließlich ein Dach über dem Kopf geben: Am 2. März 1973 unterschrieb der Verein einen Mietvertrag. Ein Namensgeber aus dem linken Spektrum war schnell gefunden: Ein Jahr zuvor war Thomas Weisbecker - der Verfassungsschutz schreibt den Namen des Mitglieds der terroristischen "Bewegung 2. Juni" mit nur einem "s" - von der Polizei erschossen worden.

Damals waren Menschen wie Weisbecker noch Helden, und die Idee war noch revolutionär, dass Kinder aus dem Heim gemeinsam mit anderen jungen Menschen in einem selbstverwalteten Kollektiv wohnen sollten; in einer Hausgemeinschaft also, die von der Renovierung bis über die Verpflegung alles eigenständig organisiert. "Bis heute kann man sagen, dass das klappt", sagt Will. Allerdings helfen inzwischen eine Sozialarbeiterin, eine Teilzeit-Bürokraft und ein Hausmeister mit.

Derzeit wohnen noch 38 Menschen in dem Gebäude, dass sie meist Tommy-Haus abkürzen. Jeder von ihnen zahlt 179 Euro Miete im Monat. Nur zwei der Bewohner sind jugendliche Heimflüchtlinge. Die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Manche von ihnen wollen einfach alternative Lebensformen ausprobieren. Für andere dagegen war es eine letzte Zuflucht. Wie für die 21-jährige Denise, die vor einem Jahr plötzlich auf der Straße stand. Nun sucht sie aber wieder nach einer Wohnung. Vor allem von regelmäßigen WG-Diskussionen hat sie langsam die Nase voll: "Es wird immer nur geredet, passieren tut nichts."

"Zu selbstverständlich"

Auch der derzeit noch amtierende Haus-Vorstand, die 25-jährige Nadja, wünschte sich ein bisschen mehr Einsatz der Bewohner. 2007 läuft der Mietvertrag aus und schon jetzt muss ihrer Meinung nach der Kampf für die Verlängerung aufgenommen werden. "Doch wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz", sagt sie. "In den 70er-Jahren musste man noch für etwas kämpfen. Heute ist es für die Leute hier zu selbstverständlich, dass es das Tommy-Haus gibt."

Doch die Zeiten sind vorbei, das weiß auch der älteste Bewohner des Hauses, Thomas Kramer, genannt Otto, der seit 25 Jahren in einem Zimmer im vierten Stock des Tommy-Hauses wohnt. Der 50-Jährige vermisst ein echtes Gemeinschaftsgefühl. "Früher sind wir noch zusammen auf Demos gegangen", erzählt er. Heute gingen nur noch zwei, drei auf die Straße. Er selbst allerdings auch nicht mehr.



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